IG Metall legt Zukunftsreport vor

IG Metall

23.10.2001 Zwickel will IG Metall für die Zukunft fit machen

Die IG Metall hat die erste Phase ihrer zu Beginn des Jahres begonnenen Zukunftsdebatte mit der Vorlage eines Zukunftsreports abgeschlossen. Nach Angaben des IG Metall-Vorsitzenden Klaus Zwickel beteiligten sich über 120 000 Mitglieder und nicht gewerkschaftlich organisierte Arbeitnehmer an den Befragungen und Interviews zur Erarbeitung des Zukunftsreports. "Wir haben damit eine Beteiligung erreicht, die ohne Beispiel in der deutschen Gewerkschaftsgeschichte ist", sagte Zwickel. Der Report soll jetzt bis April kommenden Jahres sowohl in der IG Metall als auch mit Parteien, Organisationen, Verbänden und Wissenschaftlern diskutiert werden. Auf der Grundlage der Ergebnisse dieser Diskussion wird die IG Metall vom 13. bis 15. Juni kommenden Jahres einen Zukunftskongress in Leipzig veranstalten. Als Ziel der Zukunftsdebatte bezeichnete es Zwickel, die IG Metall für die Herausforderungen der Gegenwart stark zu halten und für die Zukunft fit zu machen. "Es geht nicht darum, unsere Ziel aufzugeben. Ich will keine weichgespülte IG Metall", betonte Zwickel. Er wolle auch künftig eine kämpferische IG Metall. Eine IG Metall, die - wenn erforderlich - auch einem Arbeitskampf nicht ausweiche. Gleichzeitig müsse die IG Metall jedoch ihr Profil schärfen. Die IG Metall müsse auch für die, die sie bisher nicht erreiche, als interessante und handlungsfähige Organisation, als Anwalt für soziale Gerechtigkeit und als kompetenter Ansprechpartner und Berater für alle Fragen rund um den Beruf und die Arbeitswelt in Erscheinung treten. Zwickel: "Am Ende muss stehen: IG Metall und Zukunft - das gehört zusammen."

Nach den Befragungen zum Zukunftsreport rangiert die Sicherheit des Arbeitsplatzes in der Prioritätenskala der Arbeitnehmer mit 78 Prozent ganz oben. Gleichzeitig bezeichnen jeweils über 70 Prozent der Befragten die Sicherung der Arbeitsplätze und die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit als "sehr wichtige" Aufgaben der Gewerkschaften. Etwa die Hälfte der Befragten bewertet die Durchsetzung von Lohn- und Gehaltserhöhungen, die Bezahlung von Überstunden, Arbeits- und Gesundheitsschutz und geregelte Arbeitszeiten als "sehr wichtig". Ein differenziertes Bild ergab die Befragung zum Thema Arbeitszeit. Die IG Metall sollte mehr tun für die Einhaltung der tariflichen Arbeitszeit und für die Förderung der Altersteilzeit sagen jeweils 47 Prozent. 41 Prozent wünschen sich ein stärkeres Engagement zur Förderung der Teilzeitarbeit und 54 Prozent fordern einen konsequenteren Abbau von Überstunden. Beim Thema weitere Arbeitszeitverkürzung sagen 37 Prozent, die Politik der IG Metall dazu sei richtig. 26 Prozent meinen, die IG Metall sollte in diesem Bereich mehr tun. Damit sagen rund zwei Drittel der Befragten, die Arbeitszeitpolitik der IG Metall sei richtig und sollte fortgesetzt werden. Dem stehen 30 Prozent gegenüber, die sagen, die IG Metall sollte weniger für weitere generelle Arbeitszeitverkürzungen tun.

Das Bündnis für Arbeit bewerten 82 Prozent der repräsentativ befragten Arbeitnehmer positiv. Es sei wichtig, dass Regierung, Wirtschaft und Gewerkschaften im Bündnis für Arbeit zusammen arbeiten. Im Vergleich zu Befragungsergebnissen aus dem Jahre 1999 ist die Zustimmung zum Bündnis für Arbeit jedoch gesunken. Damals sagten noch 92 Prozent, das Bündnis sei wichtig zur Schaffung von Arbeitsplätzen; heute sagen das nur noch 73 Prozent.

Deutlich wahrgenommen wird von den Arbeitnehmern der Wandel der Arbeitsgesellschaft. 48 Prozent gehen "sicher" davon aus, dass Leiharbeit zunehmen wird. 46 Prozent halten das Anwachsen gering bezahlter Dienstleistungsjobs für "sicher". Und für 42 Prozent ist sicher, dass viele Menschen mehrere Jobs gleichzeitig haben werden und haben müssen. Die Meinungen zu diesen Veränderungen sind gespalten. Während 71 Prozent der Befragten die Zunahme der Selbstständigenzahl begrüßt, lehnen 77 Prozent die Zunahme der Leiharbeit und jeweils 83 Prozent die Ausweitung gering bezahlter Dienstleistungsjobs und Mehrfach-Jobs ab.

Der Einschätzung, die IG Metall sei angesichts des schnellen wirtschaftlichen Wandels heute wichtiger denn je, stimmen 33 Prozent der Befragten "voll und ganz" und 44 Prozent "eher" zu. Der Einschätzung, dass die IG Metall klare Konzepte für die Zukunft hat, stimmen 16 Prozent der repräsentativ Befragten "voll und ganz" und 42 Prozent "eher" zu. Das sind zusammen 58 Prozent und damit ein positiver Wert. 21 Prozent beantworten die Frage, ob die IG Metall klare Konzepte für die Zukunft hat, mit "eher nicht" und fünf Prozent mit "überhaupt nicht".

Aus diesen und einer Vielzahl anderer Ergebnisse hat die IG Metall in dem jetzt vorgelegten Zukunftsreport "Zuspitzungen und Diskussionsanreize" abgeleitet. "Was wir jetzt zur Diskussion vorlegen - und darauf lege ich Wert - , ist weder eine neue Beschlusslage der Organisation, noch ein neues IG Metall-Programm", sagte Zwickel. Mit den "Zuspitzungen und Diskussionsanreizen" wolle die IG Metall vielmehr die weitere Diskussion anregen, eine offene Auseinandersetzung fördern und neue Wege wagen.

Forderungen nach weiterer genereller Arbeitszeitverkürzung über die 35-Stunden-Woche hinaus sind nach den Befragungsergebnissen zum Zukunftsreport zurzeit nicht tragfähig. Die IG Metall müsse daher mittelfristig - so die Schlussfolgerung - ein arbeitszeitpolitisches Konzept entwickeln, das der Sicherung der jetzigen tariflichen Arbeitszeiten eindeutig Vorrang gebe vor weiterer genereller Arbeitszeitverkürzung. Langfristig seien Perspektiven verkürzter Arbeitszeiten zu entwickeln, die besondere Belastungen der Beschäftigten berücksichtigten und den Arbeitnehmern Wahlmöglichkeiten böten.

Zur Diskussion über die Zukunft des Flächentarifvertrages stellt die IG Metall fest: Der Erhalt des Flächentarifvertrages wird als wichtige Aufgabe der IG Metall angesehen. Gleichzeitig sei in den Befragungen zur Zukunftsdebatte eine hohe Bereitschaft sichtbar geworden, den Flächentarifvertrag durch betriebsbezogene Regelungen zu ergänzen. Für die weitere Diskussion spitzt die IG Metall dieses Befragungsergebnis zu: Die IG Metall muss ein Konzept für eine Struktur von Tarifverträgen entwickeln, die allgemein geregelte Mindestbedingungen mit Differenzierungsmöglichkeiten verknüpft. Innovative Tarifpolitik, die den Anspruch auf kollektive Lösungen mit den Chancen auf Differenzierung verknüpfe, solle die IG Metall nicht schwächen, sondern ihren Einfluss vergrößern.

Zur weiteren Diskussion über die Zukunft der sozialen Sicherungssysteme stellt die IG Metall fest, dass sich eine deutliche Mehrheit der Arbeitnehmer für die Beibehaltung der sozialen Sicherungssysteme in der jetzigen Struktur und gleichzeitig für die Verbreiterung der Finanzierungsbasis ausspricht. Die Forderung nach einer breiteren Finanzierungsbasis könne mit der Einbeziehung aller Erwerbstätigen in die sozialen Sicherungssysteme aufgegriffen werden. Entsprechende Reformkonzepte müssten auf der Basis der paritätischen Finanzierung entwickelt werden. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass bei jüngeren Arbeitnehmern eine positivere Einstellung zur Eigenbeteiligung feststellbar sei.

Zum Thema Qualifizierung schlägt die IG Metall vor, auf breiter Basis tarifliche Rahmenregelungen und Ansprüche für Weiterbildung durchzusetzen und Weiterbildung mit betrieblicher Personalentwicklung (Aufstiegsmöglichkeiten) zu verknüpfen.

Letzte Änderung: 21.03.2013