Gründung der Linkspartei

13.07.2004 Wie der "Spiegel" sich seine Realität konstruiert

In der heutigen Ausgabe des "Spiegel" wird unterstellt, dass die IG Metall und namentlich ihr Vorsitzender, Jürgen Peters, die mögliche Gründung einer Linkspartei unterstützt. Es wäre schön, wenn der "Spiegel" dazu Belege geliefert hätte. Stattdessen wird der Artikel mit unbewiesenen Behauptungen gewürzt und ist nur durch eine gehörige Portion Konstruk­tivismus möglich geworden. Weder die IG Metall als Organisation, noch ihre Führung unterstützen die Gründung von Parteien.

Zu Unterstützung seiner Behauptung führt der "Spiegel" Auszüge einer Rede von Jürgen Peters vor 174 Teilnehmern des Beirates der IG Metall ("Spiegel" O-Ton: interne Besprechung), ins Feld. Veröffentlicht wird aber nur, was dem "Spiegel" in seine konstruierte Realität passt. Die Passagen beziehen sich auf den Teil der Rede, mit dem Peters für das "Arbeit­nehmer­begehren" wirbt und nicht für eine "Linkspartei. Und sie enden dort, wo der Schwindel auffliegt:

"Um es auf den Punkt zu bringen: Wir sind gefordert, eine breite Bürgerbewegung aufzu­bauen, die die Sozialdemokraten zwingt, zur Vernunft zu kommen (bis hierhin zitiert der "Spiegel"- der Rest wird aus nicht nachvollziehbaren Gründen unterschlagen).

Und das heißt vor allem: Sie müssen zur Politik der wirtschaftlichen Vernunft und zur Politik der sozialen Gerechtigkeit zurückkehren. Wir wollen keinen Regierungswechsel. Wir wollen einen Politikwechsel. Wir wollen, dass Rot-Grün sich den Erwartungen und den Hoffnungen der Menschen zuwendet. Denn nur so gewinnen sie Vertrauen zurück und treiben die Menschen nicht weiter in Wahlenthaltung und Resignation. Und nur so kann der radikale Politikwechsel, der mit Union und FDP verbunden wäre, verhindert werden."

Im übrigen hätte sich der "Spiegel" gar nicht die Mühe machen müssen, "hinter verschloss­enen Türen" zu recherchieren. Nicht nur in zahlreichen Interviews, sondern bereits in seiner Grundsatzrede auf dem Gewerkschaftstag der IG Metall im Oktober 2003 in Hannover, hat Peters das gesell­schafts­politische Vorgehen der IG Metall in aller Öffentlichkeit formuliert:

"Wir wissen: ohne eine arbeitnehmerorientierte SPD haben wir in der Politik schlechte Karten. Aber auch die SPD sollte wissen: ohne die breite Zustimmung der Arbeitnehme­­r-innen und Arbeitnehmer hat auch sie als Regierungspartei schlechte Karten! Deshalb: Wir müssen die Stimmungen und Mehrheiten in der Gesellschaft verändern. Mit allen aktiven Gruppen und Bewegungen. Weil wir wissen: Gegen aktive gesellschaftliche Mehrheiten kann in einer Demokratie auf Dauer keine Regierung regieren. Wir müssen über neue Mehrheiten in der Gesellschaft wieder zu einer neuen Politik in den Parlamenten kommen."

Die Unterscheidung zwischen gesellschaftlichen und parlamentarischen Mehrheiten sollte auch Spiegel-Redakteuren bekannt sein.

Im Übrigen behauptet der "Spiegel", dass "in einem zentralistisch gesteuerten Apparat wie der IG Metall ein einziges Gespräch des Chefs mit den Aktivisten genügen würde - und die neue Initiative verlöre einen Großteil ihres Führungspersonals". Das ist eine merkwürdige Auf­fassung von Demokratie und von den im Grundgesetz verbrieften Bürgerrechten, die der "Spiegel" der IG Metall hier nahe legt. Früher hätte er ein solches Vorgehen der IG Metall-Spitze als verfassungswidrig gebrandmarkt.

Jürgen Peters hat sich in den vergangenen Wochen und Monaten mehrmals zu möglichen Parteigründungen geäußert, hier eine kleine Auswahl:

Dpa, 11. März 2004:
Jürgen Peters: IG Metall plant keine Parteigründung
Frankfurt/Main - Auch der IG Metall-Vorsitzende Jürgen Peters sprach sich klar gegen Überlegungen einer linken Partei durch Gewerkschaften aus. "Die IG Metall gründet keine Partei noch ruft sie dazu auf, aus Parteien auszutreten", sagte Peters der dpa in Frankfurt. Dies sei nicht ihre Aufgabe. Die IG Metall wolle ein andere Politik und werde weiter ihre gewerkschaftlichen Instrumente nutzen, um Einfluss zu nehmen. "Die Gewerkschaften sind kein Parteienersatz und wollen auch keiner werden", betonte Peters.

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 14. März 2004:
Frage: Herr Peters, kennen Sie die Website www.wahlalternative.de?
Ich weiß, dass dies eine Initiative ist, die über die Gründung einer neuen Wahlalternative nachdenkt...
Frage: ... mitbegründet von IG-Metallern, die in der SPD nicht mehr ihre Heimat sehen...
... Sie müssen unterscheiden zwischen dem, was einzelne Mitglieder machen, und den Äußerungen der IG Metall. Dass sich einzelne Gewerkschaftler zu Wählerinitiativen zusammenschließen, kann ich nicht verhindern.
Frage: Vielleicht ist es Ihnen sogar sehr recht: Als linke Drohung an die SPD?
Das ist Ihre Interpretation. Ich sage klar: Die Gewerkschaften sind kein Parteienersatz, und die IG Metall wird keine neue Partei gründen.
Frage: Die Funktionäre handeln ohne Prokura?
Ob das klug ist, was die Kollegen in ihrer Eigenschaft als Bürger machen, müssen sie selbst wissen. Ich halte das nicht für klug. Aber daraus spricht natürlich auch ein außerordentlicher Unmut über die Politik der Bundesregierung.

Spiegel Online, 17. März 2004:
"Wir brauchen keine neue Partei, sondern eine andere Politik"

Es bleibt festzuhalten, dass zwischen Realität und der konstruierten Realität des "Spiegel" eben ein himmelweiter Unterschied besteht. Politische Rückschlüsse überlasse ich Ihnen.

Letzte Änderung: 21.03.2013