DANKE, Joachim!

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30.11.2021 "Erfolge fließen nicht zu, sondern sind hart erkämpft worden." Interview mit Joachim Horner, ehem. Betriebsratsvorsitzender vom "Benz", anlässlich seiner Verabschiedung

DANKE, Joachim!

"Erfolge fließen nicht zu, sondern sind hart erkämpft worden."

Interview mit Joachim Horner, ehem. Betriebsratsvorsitzender vom "Benz", anlässlich seiner Verabschiedung aus dem Ortsvorstand der IG Metall Mannheim

Die Mannheimer IG Metall hat ihm Großes zu verdanken: Nach seinem beruflichen Ausscheiden beim Benz im Frühjahr dieses Jahres verlässt Joachim Horner nun auch den Ortsvorstand der IG Metall Mannheim. Im Rahmen der letzten Ortsvorstandsklausur im September wurde Joachim feierlich verabschiedet. Anlass für uns, noch einmal mit ihm persönlich über seinen Abschied aus der 1. Reihe zu sprechen und einen Ausblick darauf zu wagen, wie er die aktuellen Entwicklungen in den Betrieben, der IG Metall und der Gesellschaft sieht. Außerdem verrät uns Joachim, was er nun in seiner neuen Lebensphase so vorhat.

Lieber Joachim, seit Anfang der 80er Jahre hast du dich im Betrieb und darüber hinaus, zunächst als Jugendvertreter, dann als Betriebsrat und seit 1999 als Betriebsratsvorsitzender engagiert. Du warst Vertrauensmann der IG Metall, Delegierter, Mitglied der Großen Tarifkommission und 20 Jahre lang Mitglied im Ortsvorstand der Mannheimer IG Metall. Es ist nicht leicht, das in kurzen Worten zusammenzufassen, aber was waren für dich die größten tarifpolitischen Errungenschaften?

Aus meiner Sicht war die Auseinandersetzung um die Einführung der 35 Stunden-Woche eine sehr wichtige Entwicklung. Als ich noch Jugendvertreter war, kann ich mich an eine große gesellschaftliche Debatte darum erinnern, die die IG Metall entscheidend vorangetrieben hat.
Die Arbeitslosigkeit war hoch. Es gab noch keine Übernahmegarantie für die Auszubildenden. Umso wichtiger war es, mit der Arbeitszeitverkürzung echte Perspektiven für die jungen Menschen zu schaffen und neue Wege zu gehen. Das haben wir mit viel Kraftanstrengung und auch mit der sogenannten "neuen Beweglichkeit" wie z.B. Warnstreiks geschafft: Die neuen Arbeitskampfformen hatte es bisher nicht gegeben. Sie mussten erst von den Gerichten als rechtmäßig und durchführbar bestätigt werden.

Auch betrieblich sind wir neue Wege gegangen. Unsere Leitlinie beim Betriebsrat und bei der Jugend- und Auszubildendenvertretung war immer: Auch wenn es wirtschaftlich kritisch wird, wollen wir Massenentlassungen in Mannheim vermeiden. Denn seit Ende der 60er Jahre hatte es keine Massenentlassungen beim Benz mehr gegeben. Als es in den 80er Jahren massive Absatzprobleme gab und wir Kosten senken mussten, haben wir junge Kolleginnen und Kollegen nicht entlassen, sondern an andere Standorte abgeordnet, um sie weiterbeschäftigen zu können. Ich kann mich an Abordnungen von dutzenden Benz-Auslernern erinnern, die für längere Zeit, 2-3 Jahre, nach Sindelfingen, Untertürkheim oder Wörth versendet wurden sozusagen.

Gleichwohl war eine weitere Leitlinie für uns: Nicht erpressen lassen! Entlassungen verhindern, aber keine Flexibilisierung nur auf Kosten der Beschäftigten zulassen!

Das ist uns trotz der massiven Rationalisierung und Leistungsverdichtung, auch im indirekten Bereich mit Großrechnern, Ausbau der Logistiktätigkeiten, der Nutzung von PCs an viele Arbeitsplätzen ab Ende der 80er Jahre, sowie trotz heftiger Sparprogramme im Konzern, an vielen Stellen gelungen. Wir konnten immer wieder hunderte Kolleginnen und Kollegen in Mannheim einstellen und in feste Arbeitsverhältnisse übernehmen, auch aus der Leiharbeit.

2018 hat die IG Metall das Thema "Zeit statt Geld" tarifpolitisch und in der Debatte auch gesellschaftlich vorangebracht. Mit der Einführung des T-ZUGs ist ein neuer tariflicher Baustein hinzugekommen. Wie bewertest du diese neue Tarifpolitik der IG Metall?

Das war extrem wichtig, diese gesellschaftliche Debatte auch tarifpolitisch einfließen zu lassen und uns neue Möglichkeiten zu erkämpfen. Sicherlich machen die Arbeitgeber auch immer wieder "Ausweichbewegungen", wie schon bei der 35-Stunden-Woche mit der Ausdehnung der Samstagsarbeit in der Produktion, mit der Erweiterung von Arbeitszeitkapazitäten und Zeitkontenmodellen. Aber es gibt heute viele gute tarifliche Erfolge, wie die Zeitoptionen des T-ZUG, wie die Alterssicherung oder wie zuletzt den Trafobaustein.

Ich denke, allgemeiner gesprochen, ist der Erfolg der Gewerkschaften auch ihre größte Schwierigkeit: Unser Lebensstandard ist, wenn man sich international umguckt, sehr gut. Es hat sich eine riesige "Freizeitindustrie" entwickelt, mit Folgen im Übrigen auch für unseren Omnibusbau. Ich würde mir wünschen, die Menschen hätten mehr Zeit für Interessenvertretung und Arbeitnehmerpolitik. Denn Erfolge fließen nicht zu, sondern sind hart erkämpft worden.

Heute gibt es bei uns viele Chancen und Möglichkeiten zum Mitbestimmen, gerade wenn man sich die Verfolgung von Betriebsräten und Gewerkschaften in anderen Ländern betrachtet. Egal, wo man politisch steht, ist es aus meiner Sicht wichtig, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Politik mitmachen. Jede Generation muss sich engagieren und das Ganze im Auge haben: Nämlich unsere Demokratie zu gestalten und die Probleme dieser Zeit zu lösen. Gewerkschaftspolitisch ist wichtig, dass die aktuellen Umwälzungen uns nicht die Basis entziehen dürfen. Junge Menschen müssen immer mit einbezogen werden.

Wie bewertest du die sogenannte Transformation? Hat unsere Industrie in Mannheim noch eine Chance?

Wir befinden uns tatsächlich im Zeitalter, in dem sich die Technologie rasant ändert und in dem sich die Frage im übertragenen Sinn stellt: "Wer wird überleben?" Es geht aus meiner Sicht darum, jetzt Milliarden in die Fabriken zu investieren. Denn da, wo wir gut sind, müssen wir gut bleiben. Darauf müssen wir setzen. Die Wertschöpfung wird dank Automatisierung und neuer Fertigungstechnologie groß bleiben. Aber die Arbeitsplätze, die noch da sind, werden sich sehr ändern: Hochwertige Arbeit wird übrig bleiben. Einfache Tätigkeiten fallen weg. Wir brauchen aus meiner Sicht deshalb viele Investitionen in Bildung, in Mobilität und Technologie. Wir brauchen weiterhin viel Forschung und viele Patente in Deutschland. Und wir brauchen politische Unterstützung. Diese Transformation einer Schlüsselindustrie für Deutschland und für Europa, nämlich der Automobilindustrie, kann sonst nicht bewältigt werden. Es braucht eigentlich eine europäische Automobilindustrie.

Wir müssen es hinkriegen! Denn ich sehe für die Industrie nicht schwarz: Die Menschen wollen es bequem haben. Die Technologie der Industrie wird dabei immer helfen. Richtig ist, dass die IG Metall versucht, das Ganze tarifpolitisch zu begleiten. Die IG Metall wird in all diesen Debatten immer eine große Rolle spielen, bin ich mir sicher.

Joachim, was steht für dich persönlich an? Welche Ideen und Wünsche hast du für deinen neuen Lebensabschnitt?

Ich möchte in allererster Linie fit bleiben und möglichst viele Reisen machen: z.B. nach Schottland, nach Ägypten oder auch gerne mal nach Mittel-/Südamerika. Außerdem bin ich ein Lesefreak und komme nun hoffentlich auch wieder mehr dazu. Ich freue mich darauf, die Gedanken wieder frei zu haben und Zeit für meine Ziele zu verwenden. Sicherlich wird auch das Engagement für die Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weiter seinen Platz haben. Aber wann und wie, das werde ich sehen.

Lieber Joachim, herzlichen Dank für das Interview und alles Gute für diese neuen Erfahrungen.

Der Ortsvorstand und alle Kolleginnen und Kollegen der IG Metall Mannheim sagen dir herzlichen Dank für dein herausragendes Engagement und wünschen dir viel Gesundheit, Glück und Zufriedenheit. Bis bald im Gewerkschaftshaus oder an anderer Stelle in Mannheim!

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Bild Joachim Horner

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Letzte Änderung: 30.11.2021