Frontalangriff auf Beschäftigte

IG Metall: Pressemitteilung

14.01.2025 Angriffe auf die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall: Debatte um die Krankentage wieder entfacht - Hahl: "Frontal-Angriff auf die Sozialversicherungssysteme und irrsinniger Generalverdacht"

Mannheim, 14.01.2025
IG Metall-Pressedienst Nr. 01/2025

Angriffe auf die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall

  • Debatte um die Krankentage wieder entfacht
  • Allianz-Chef Oliver Bäte schlägt vor, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall einzuschränken
  • Als "Frontal-Angriff auf die Sozialversicherungssysteme und irrsinniger Generalverdacht gegen Beschäftigte!" beschreibt Thomas Hahl, 1. Bevollmächtigter diesen Vorstoß

Die These, dass sich Beschäftigte ohne driftigen Grund krankmelden und "blau
machen", ist nicht neu. Die Diskussion um die vermeintlich erhöhten Krankenstände in
Deutschland läuft bereits seit Dezember 2023. Hauptargument der Arbeitgeber und auch
der FDP ist: In Deutschland haben wir zu viele Krankentage. Schuld daran seien u.a. die Möglichkeit der telefonischen Krankschreibung und die Bezahlung der Krankentage ab dem ersten Tag. Der Diskurs wird immer wieder durch neue Zahlen zur Arbeitsunfähigkeit angeheizt. Vor Kurzem hatte auch Mercedes-Benz-Chef Ola Källenius erklärt, es sei hierzulande zu einfach, sich krankzumelden.

Allianzchef Oliver Bäte forderte nun einen sogenannten Karenztag. Das bedeutet, die
Lohnfortzahlung am ersten Krankheitstag soll gestrichen werden. Der drohende
Entgeltverlust soll Beschäftigte abschrecken, "blau zu machen".
Diese Angriffe zielen auf eine Änderung des Entgeltfortzahlungsgesetzes, in dem die
Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfall geregelt ist.
"Diese Vorschläge sind Frontal-Angriffe auf die Sozialversicherungssysteme und stellen
Beschäftigte unter einen irrsinnigen Generalverdacht! Die lückenlose Lohnfortzahlung
im Krankheitsfall ist ein wichtiges Schutzrecht, dass jedem erkrankten Arbeitnehmer die Möglichkeit gibt, sich vollständig zu erholen. Die Abschaffung dessen setzt Beschäftigte unter Druck. Mit diesen Vorschlägen kommt die Arbeitgeberseite nicht weit. Wir werden unser Rechte als Arbeitnehmer aufs Schärfste verteidigen!" sagt Thomas Hahl.

Ein Großteil der Fehlzeiten geht auf psychische Erkrankungen zurück. Diese sind seit
dem Jahr 2000 um 250% gestiegen.
Dabei nehmen die Belastungen insbesondere an Industriearbeitsplätzen zu. In den
Betrieben der Metall- und Elektroindustrie wird in der Regel samstags, sonntags und
feiertags gearbeitet. Außerdem wird in der Produktion in der Regel im Schichtbetrieb
gearbeitet. Zusätzlich haben die Beschäftigten in Deutschland im Jahr 2023 1,3
Milliarden Überstunden geleistet. Davon waren mit 775 Millionen Stunden mehr als die
Hälfte unbezahlt. "Dieser Zustand ist nicht tragbar. Mehrarbeit bedeutet: mehr Belastung und weniger Zeit zur Regeneration. Wer den aktuellen Krankenstand beklagt, sollte bei der Mehrarbeit und den Arbeitsbedingungen ansetzen! Ein Großteil der psychischen Erkrankungen ist auf das Arbeitsleben zurückzuführen. Aber es fehlt noch immer in vielen Betrieben eine Gefährdungsbeurteilung, insbesondere psychische Belastungen müssen erfasst und Maßnahmen dagegen ergriffen werden", so der 1. Bevollmächtigte weiter. Ein weiterer Grund für steigende Fehlzeiten sind Atemwegserkrankungen, die seit 2022 angestiegen sind.

Darüber hinaus haben Krankenkassen mit der Einführung der elektronischen
Krankmeldung eine bessere Datenerfassung, denn früher mussten die Beschäftigten ein
Exemplar an die Krankenkasse senden. Dieser Vorgang wurde von den Versicherten
häufig unterlassen.

Seit der Corona-Pandemie sind sich viele Beschäftigte über ihre Verantwortung den
Kolleg*innen gegenüber bewusster geworden und ziehen es vor, bei den ersten Zeichen
einer Erkrankung zu Hause zu bleiben, um Kolleg*innen vor einer Ansteckung zu
schützen. Eine DAK-Studie zeigt auch, dass 63% der Beschäftigten sich für eine Erkrankung immer ein Attest holen (2015 waren es noch 53%). Gleichzeitig sagt nur ein Viertel, dass sie es ab dem ersten Tag vorlegen müssen. Beschäftigte antizipieren hier also ein Misstrauen des Arbeitgebers und holen sich ein Attest. Das ist eher ein Zeichen negativer Wertschätzung des Arbeitgebers als mangelnder Motivation der Beschäftigten.

"Gesundheit ist unser höchstes Gut! Deswegen gilt es, die eigene Gesundheit zu
schützen und solidarisch zu handeln: Wer eine ansteckende Krankheit hat, bleibt
daheim! Wer den Beschäftigten dabei "Blaumacherei" unterstellt, handelt unüberlegt
und verantwortungslos!" so Hahl. "Vielmehr sind jetzt die Arbeitgeber an der Reihe,
gemeinsam mit den Betriebsräten Maßnahmen für ein gesundes Arbeitsumfeld zu
schaffen."

Mehr als 34.000 Metaller*innen streiken 1956/1957 in Schleswig-Holstein für einen
Tarifvertrag über die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall für Arbeiter*innen - insgesamt 114 Tage. Unter dem Druck dieses Arbeitskampfes entstand danach das
Arbeiterkrankheitsgesetz. Als CDU und FDP das Gesetz 1996 änderten und die Lohnfortzahlung auf 80% absenkten, war es erneut die IG Metall, die eine tarifliche Verbesserung auf 100% erzwang. Dem folgte die rot/grüne Regierung 1999 mit einer Gesetzesänderung. "Die Grundlage für die heutige Lohnfortzahlung ist ein hart erkämpftes Gut und war den Arbeitgebern schon immer ein Dorn im Auge. Wer unsere erkämpften Erfolge angreift muss mit massiven Widerständen in Gesellschaft und Betrieben rechnen!" sagt Thomas Hahl abschließend.

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Letzte Änderung: 14.01.2025