Zwickel zur Hartz-Kommission:

IG Metall

01.07.2002 "Zwei Millionen Menschen wieder in Arbeit vermitteln - da machen wir mit "

Der Vorsitzende der IG Metall, Klaus Zwickel, hat heute (1.7.02) während einer Pressekonferenz zu den Vorschlägen der Hartz-Kommission zum Abbau der Arbeitslosigkeit und zur Reform des Arbeitsmarktes Stellung genommen. Zwickels Erklärung und seine zu diesem Konzept entwickelten Anforderungen im Wortlaut:

"Der Abbau der Arbeitslosigkeit ist und bleibt die wichtigste Aufgabe für Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften. Darüber besteht in der Bundesrepublik weitgehende Übereinstimmung. Dennoch sind die bisher beim Abbau der Arbeitslosigkeit erreichten Erfolge - ich will es freundlich formulieren - bescheiden. Wir haben zwar nicht mehr Arbeitslosenzahlen von weit über vier Millionen. Aber auch 3,9 Millionen sind 3,9 Millionen Arbeitslose zu viel. Deshalb unterstütze ich alle Initiativen, die neue und wirksamere Möglichkeiten zum Abbau der Arbeitslosigkeit eröffnen. Das Motto der Zukunftsdebatte der IG Metall - "Neue Wege wagen" - muss auch im Bereich der Arbeitsmarktpolitik gelten. Wir brauchen vor allem eine Vermittlungs- und Qualifizierungsoffensive. Wir müssen verkrustete Strukturen aufbrechen, Bürokratie abbauen, Vermittlungsaktivitäten ausbauen und mehr Trainings- und Qualifizierungsmaßnahmen anbieten. Innovative Arbeitsmarktpolitik muss vorbeugend wirksam werden, Lösungen für Brüche in Erwerbsbiografien anbieten und Übergänge zwischen unterschiedlichen Erwerbsphasen und Beschäftigungsformen absichern. Der Verlust von Arbeitsplätzen wird auch künftig nicht zu vermeiden sein. Aber wir müssen verhindern, dass aus einem Arbeitsplatzverlust längere Arbeitslosigkeit oder Dauerarbeitslosigkeit wird. Die Vorschläge der Hartz-Kommission zum Abbau der Arbeitslosigkeit und zur Reform des Arbeitsmarktes gehen in diese Richtung. Ich bin mit diesen Überlegungen nicht in allen Punkten einverstanden. An einigen Stellen schießt die Kommission übers Ziel hinaus. Aber wichtigen Ansätzen wie der schnelleren Vermittlung und einer umfassenden Qualifizierung von Arbeitslosen, dem Prinzip des Fördern und Fordern und dem Abbau überflüssiger Bürokratie stimme ich zu. Meine Bewertung der bisher vorliegenden Vorschläge der Hartz-Kommission:

1. Die Kommission will die Zahl der Arbeitslosen in den nächsten drei Jahren um zwei Millionen reduzieren. Dazu sage ich: Da machen wir mit.

2. Ich sage Ja zu der von der Hartz-Kommission vorgeschlagenen Vermittlungs- und Qualifizierungsoffensive. Da sind aber nicht nur die Arbeitsämter und die Arbeitslosen gefordert. Da ist besonders die Wirtschaft gefordert. Sie steht jetzt auf dem Prüfstand. Die Wirtschaft behauptet, es gibt 1,5 Millionen freie Stellen, die sie nicht besetzen kann. Ich sage: Her mit diesen 1,5 Millionen Stellen. Meldet sie den Arbeitsämtern. Und dann unternehmen wir gemeinsam alle Anstrengungen, um bisher arbeitslose Menschen für diese Stellen zu qualifizieren und wieder in Arbeit zu bringen. Nur so kann die von der Hartz-Kommission geplante Vermittlungs- und Qualifizierungsoffensive funktionieren.

3. Diese Vermittlungs- und Qualifizierungsoffensive darf nicht mit Leistungs-kürzungen verbunden sein. Dazu sage ich entschieden Nein. Wir können doch nicht von Arbeitslosen mehr Flexibilität und Mobilität fordern und diese Flexibilität und Mobilität dann mit Leistungskürzungen bestrafen. Das gilt in gleicher Form für ältere Arbeitslose: Auch über 55-Jährige dürfen nicht aufs Abstellgleis geschoben werden und müssen sozial geschützt bleiben.

4. Ich sage Ja zu den von der Hartz-Kommission vorgeschlagenen Personal-Service-Agenturen. Für die von Personal-Service-Agenturen ausgeliehenen Arbeitnehmer sollen Tarifbedingungen und gesetzlicher Kündigungsschutz gelten. Das ist gut und richtig so. Ich möchte es allerdings konkreter. Ich sage: Für die von Personal-Service-Agenturen an Betriebe ausgeliehenen Zeitarbeitnehmer müssen alle tarifvertraglichen Arbeits- und Einkommensbedingungen uneingeschränkt gelten. Und zwar die Arbeits- und Einkommensbedingungen, die in den Einsatzbetrieben gelten.

5. Zeitarbeit wird von uns als Realität anerkannt. Sie ist oftmals eine Brücke zu einem Dauerarbeitsverhältnis. Sie kann aber auch zum Abbau von Dauerarbeitsplätzen missbraucht werden. Deshalb brauchen wir klare Regelungen. Der Einsatz von Leiharbeitnehmern darf weder zu Lohndumping noch zu Mitnahmeeffekten führen. Es kann nicht sein, dass Betriebe in großem Umfang Leiharbeitskräfte von Personal-Service-Agenturen einsetzen und dann ihre Stammbelegschaften abbauen. Meine Forderung lautet daher: Alle Betriebe, die von Personal-Service-Agenturen vermittelte Zeitarbeitnehmer einsetzen, müssen regelmäßig Arbeitsplatzbilanzen vorlegen. Der Einsatz von Zeitarbeitnehmern darf nicht zum Abbau von Dauerarbeitsplätzen führen. Im Gegenteil: Perspektivisch muss dieses Instrument zur Schaffung zusätzlicher Dauerarbeitsplätze führen.

6. Ich sage Ja zum Abbau der Schwarzarbeit und zum Aufbau neuer Beschäftigung im privaten Dienstleistungsbereich. Ich sage Ja zur Ermunterung und zu Hilfen zur Selbstständigkeit. Das darf aber nicht dazu führen, dass Arbeitslose in die Scheinselbstständigkeit gedrängt werden. Zu einem Zwang zur Selbstständigkeit sage ich Nein.

Die von der Hartz-Kommission vorgeschlagene Vermittlungs- und Qualifizierungsoffensive ist nach meiner Einschätzung überfällig. Die Bundesanstalt für Arbeit beschäftigt über 90 000 Menschen. Sie hat einen Etat von jährlich 54 Milliarden Euro. Das ist ein gewaltiges Potenzial. Bisher ist aber nur ein Bruchteil der etwa 90 000 Beschäftigten der Bundesanstalt für Arbeit in der Vermittlung tätig. Und: Es dauert durchschnittlich 33 Wochen, bis ein Arbeitsloser einen neuen Job findet. Da muss sich was verändern. Wir brauchen mehr Vermittler und wir brauchen schnellere Vermittlungserfolge. Das setzt die Mitarbeit der Wirtschaft voraus. Sie darf nicht nur Jammern und die Arbeitsverwaltung madig machen. Sie muss selbst mehr tun. Sie muss stärker als bisher mit den Arbeitsämtern kooperieren und ihnen sowohl ihre freien Stellen als auch ihre Qualifizierungsanforderungen künftig frühzeitig melden.

Die Arbeitsverwaltung muss zu einer modernen Dienstleistungszentrale umgebaut werden. Ein wichtiger Beitrag dazu sind die verbindliche Kooperation von Arbeits- und Sozialämtern, der Aufbau von Job-Centern und der Aufbau von Personal-Service-Agenturen. Das bisherige Nebeneinander von Arbeits- und Sozialämtern und der damit verbundene bürokratische Aufwand sind nicht nur zu teuer. Sie sind auch nicht effektiv. Dass man es besser und effektiver machen kann, zeigt das Beispiel Köln. Dort ist die Langzeitarbeitslosigkeit nach Einrichtung eines Job-Centers um über zwölf Prozent abgebaut worden. In allen anderen Bereichen Westdeutschlands lag der Rückgang gerade mal bei 2,6 Prozent. Noch deutlicher wird die erfolgreiche Arbeit eines Job-Centers beim Abbau der Jugendarbeitslosigkeit: Sie ging in Köln um 20,7 Prozent zurück; in allen anderen Bereichen nur um 4,9 Prozent. Solch ein Erfolgsmodell sollte auf alle 181 Arbeitsämter der Republik übertragen werden.

An einigen Stellen - ich habe bereits darauf hingewiesen - schießt die Hartz-Kommission übers Ziel hinaus. Das gilt zum Beispiel für die Vorschläge zur Zusammenführung von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe. Die in den ersten sechs Monaten der Arbeitslosigkeit geplanten Pauschalzahlungen können sicherlich zum Abbau von Bürokratie beitragen. Solch ein Systemwechsel darf aber nicht zu einer pauschalen Kürzung des Arbeitslosengeldes führen. Das Arbeitslosengeld ist eine Versicherungsleistung. Arbeitslose haben mit der Zahlung von Versicherungsbeiträgen darauf einen Anspruch erworben.

Mit Nachdruck lehnt die IG Metall auch die von der Kommission vorgeschlagene Absenkung der Arbeitslosenhilfe auf das Niveau der Sozialhilfe ab. Das ist mit uns nicht zu machen. Ich verweise dazu auch auf das Wahlprogramm der SPD. Da steht die SPD im Wort.
Mit den Vorschlägen der Hartz-Kommission sollen zwei Millionen Menschen wieder in Arbeit vermittelt werden. Das ist ein wichtiges und richtiges Ziel. Die Realisierung setzt die Bereitschaft aller Beteiligten voraus, neue Wege zu gehen. Die IG Metall ist dazu bereit. Wir tragen das Projekt, das wir zunächst als ein bis Ende 2005 befristetes Pilotprojekt starten sollten, unter den genannten Bedingungen mit. Nach drei Jahren können wir dann Bilanz ziehen und prüfen, ob die mit diesem Pilotprojekt verbundenen Zielsetzungen, die auch Ausdruck eines neuen Politikstils sind, realisiert wurden. Neue Weichenstellungen muss es aber nicht nur in der Arbeitsmarktpolitik geben. Das allein würde zu kurz greifen. Neben der Reform der Arbeitsmarktpolitik müssen die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit und der Aufbau neuer Arbeitsplätze wieder ins Zentrum des politischen Handelns gerückt werden. Dazu brauchen wir auch in der Wirtschaftspolitik sowie in der Steuer- und Haushaltspolitik neue Weichenstellungen. Eine Haushalts- und Finanzpolitik, die nur aufs Sparen ausgerichtet ist, ist Gift für Konjunktur und Beschäftigung. Wir brauchen eine Haushalts- und Finanzpolitik, die Investitionen und Beschäftigung fördert.

Mein Appell an Bund, Länder und Gemeinden: Zieht ohnehin geplante öffentliche Investitionen jetzt vor und verstärkt sie. Leistet damit einen Beitrag zur Ankurbelung der Konjunktur und zum Aufbau neuer Arbeitsplätze. Und in Richtung Europäische Zentralbank wiederhole ich meine Aufforderung, stärker als bisher auch die Verantwortung der Geldpolitik für Konjunktur und Arbeitsmarkt wahrzunehmen."

Letzte Änderung: 21.03.2013