Jürgen Peters benennt Eckpunkte

IG Metall

16.10.2003 Aufbruch für gerechte, demokratische und nachhaltige Arbeitsgesellschaft

Einen neuen Aufbruch für eine gerechte, demokratische und nachhaltige Arbeitsgesellschaft hat der IG Metall-Vorsitzende Jürgen Peters in seinem Grundsatzreferat auf dem Gewerkschaftstag am Donnerstag in Hannover gefordert. Die neoliberale Wettbewerbsgesellschaft stelle für die IG Metall keine Perspektive dar, sie sei eine Schreckensvision. "Auch wir müssen uns um eine neue Balance zwischen programmatischer Kontinuität und politischer Neuorientierung bemühen, aber unser Anspruch ist es, am Entwurf einer solidarischen Gesellschaft zu arbeiten". Dazu formulierte Peters Eckpunkte für ein gewerkschaftliches Reformkonzept. Die Weiterentwicklung des Sozialstaates, der Arbeitswelt und der Tarifpolitik stünden im Mittelpunkt der Reformbemühungen der IG Metall.

Die Finanzierungsbasis der Sozialsysteme müsse zukunftsfester werden. Nicht die Demographie entscheide letztlich über die Finanzierungsspielräume, sondern die Ökonomie, betonte Peters. "Entscheidend ist nicht so sehr, wie viele junge und wie viele alte Menschen in einer Gesellschaft leben, entscheidend ist, wie viele Menschen Arbeit haben und Beiträge in die Sozialkassen zahlen". Kernproblem sei die Wachstumsschwäche und die Massenarbeitslosigkeit.

Die enge Ankoppelung der Einnahmen der Sozialkassen an die Arbeitseinkommen stelle ein Problem dar. Peters schlug vor darüber nachzudenken, ob die Sozialkassen durch einen Steuerzuschuss gegenüber den Risiken von Arbeitsmarkt und Konjunktur geschützt werden oder aber ob Mieteinnahmen und Zinsen aus Kapitalvermögen beitragspflichtig werden.

Bei den Reformvorschlägen der IG Metall für die Gesundheitspolitik stehe die Forderung nach einer Erwerbstätigenversicherung im Vordergrund, sagte Peters. "Wir wollen die Solidargemeinschaft stabilisieren, indem wir sie erweitern. Alle sollen in den Schutz der Sozialsysteme einbezogen werden. Aber alle sollen auch an ihrer Finanzierung beteiligt sein".

In der Rentenpolitik plädierte Peters für einen flexiblen Übergang in den Ruhestand. "Die Erwerbsbiographien und die Lebensentwürfe der Menschen unterscheiden sich, warum dann eine Einheitslösung für alle? Wer 45 Beitragsjahre auf dem Buckel hat, der sollte mit 60 und ohne Abschläge gehen können". Wer hingegen 50-Jährige aus dem Erwerbsleben rausdränge und gleichzeitig die Rente mit 67 fordere, wisse entweder nicht, wovon er rede, oder sei ein Scharlatan, sagte Peters.

Mit dem Abschluss gemeinsamer Entgelttarifverträge für Arbeiter und Angestellte (ERA) habe die IG Metall ein neues Kapitel in der Sozial- und Tarifgeschichte aufgeschlagen. "Mit ERA gestalten wir die Arbeitswelt von morgen". Dieser Prozess werde die IG Metall in den nächsten Jahren tarif- und betriebspolitisch beschäftigen.

Entschieden wandte sich Peters gegen Forderungen, die Arbeitszeiten in Deutschland wieder zu verlängern. "Kürzere, nicht längere Arbeitszeiten, sind die historisch richtige Antwort auf die steigende Produktivität der Arbeit". Gleichwohl werde die IG Metall in den nächsten Jahren die Gestaltung der Arbeitszeit ins Zentrum ihrer Politik stellen. Es werde darum gehen, die grenzenlose Flexibilisierung der Arbeitszeiten zu zivilisieren. "Arbeitszeitverkürzung durch Arbeitszeitgestaltung" - das sei die arbeitszeitpolitische Leitlinie der IG Metall, betonte Peters.

Weiterhin kündigte er an, dass die IG Metall die Debatte über die Differenzierung ihrer Tarifpolitik fortführen werde. Dieser Weg sei jedoch von zwei Bedingungen abhängig: Systeme, bei denen zu Gunsten einzelner Betriebe das Niveau des Flächentarifvertrages leidet, seien nicht akzeptabel. Außerdem dürfe es keine Eingriffe in regelmäßige, tarifliche Grundeinkommen geben.

Ein qualitatives Projekt zukünftiger Tarifpolitik der IG Metall werde die Weiterbildung sein. "Wir wollen möglichst allen Beschäftigten den Zugang zur Weiterbildung eröffnen. "In der Ausbildungsfrage warf Peters den Arbeitgebern Blockadepolitik vor. Er nannte es einen Skandal, dass nicht einmal 25 Prozent der Betriebe ausbilden und forderte die Bundesregierung auf, "einen Teil der Energie, die sie in die Kürzung von Arbeitslosenhilfe legt, für die Zukunft junger Menschen" einzusetzen.

Peters sagte, dass es in den letzten Jahren trotz großer Anstrengungen nicht gelungen sei, die Verteilungsposition der Arbeiternehmerinnen und Arbeitnehmer zu stabilisieren. Das sei unter anderem Ausdruck einer falschen Steuerpolitik. Er warnte seine Organisation jedoch davor, diese Schieflage allein durch die Tarifpolitik ausgleichen zu wollen. "Wir können politische Fehlentwicklungen nicht mit den Instrumenten der Tarifpolitik korrigieren, das wäre eine Überforderung", betonte Peters.

Mit Verweis auf die wachsende Zahl von Nichtwählern sieht der IG Metall-Vorsitzende in der aktuellen politischen Entwicklung eine "handfeste Krise der parlamentarischen Demokratie". Die SPD nehme mit Hinweis auf Globalisierung und Standortzwänge Abschied von den Arbeitnehmerinteressen und werde dadurch nicht mehr unterscheidbar. Wenn aber "die Menschen keine echte Wahl haben, dann müssen wir uns nicht wundern, wenn Resignation und Wahlabstinenz weiter zunehmen". Peters gab zu bedenken, dass die Sozialdemokratie ohne die breite Zustimmung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer "schlechte Karten" habe.

Kernproblem der Organisationspolitik der IG Metall sei derzeit der Verlust von Mitgliedern. Dieser Trend müsse umgekehrt werden. Peters: "Wir verlieren Mitglieder, weil wir Arbeitsplätze verlieren, aber wir gewinnen selbst dort zu wenig Mitglieder, wo die Beschäftigung günstiger ist". Angesichts dieser Diagnose werde die IG Metall nicht zur Tagesordnung übergehen. Peters forderte seine Organisation auf, die Intensität der Mitgliederwerbung zu verstärken und sie wieder ins Zentrum der täglichen Arbeit zu stellen.

Letzte Änderung: 21.03.2013