Arbeit 4.0
Doch fest steht: Kaum ein Land ist so gut gerüstet wie Deutschland. Was beim Thema Qualifizierung jetzt passieren muss.
Es gibt etwas, worum Deutschland weltweit beneidet wird. Es trägt den unspektakulären Namen "Duale Berufsausbildung". Dass Auszubildende gleichzeitig im Betrieb und in der Berufsschule qualifiziert werden, ist hierzulande eine Selbstverständlichkeit; international jedoch nicht.
Die duale Berufsbildung ist ein Erfolgsmodell. Doch ihre größte Zeit könnte erst noch bevorstehen. Der Grund: Die digitale Revolution. Sie wird Fertigungsprozesse in der Industrie grundlegend verändern. Vernetzte Maschinen werden Kundenwünsche direkt umsetzen, Lieferketten werden sich selbst organisieren. Für die Beschäftigten bringt das völlig neue Herausforderungen mit sich. Berufsbilder werden sich verändern, Qualifikationsanforderungen steigen. Manche Jobs könnten wegfallen, zum Beispiel in der Montage oder der Logistik.
Wie Deutschland damit umgehen kann, zeigt das neue Buch "Arbeit 4.0" von Detlef Wetzel, dem Ersten Vorsitzenden der IG Metall. Er hat Wissenschaftler und Praktiker besucht, die sich mit der Digitalisierung der Industrie (Industrie 4.0) befassen. Zum Beispiel Sabine Pfeiffer.
Komplexere Arbeit, höhere Qualifikation
Die Industriesoziologin ist überzeugt: Industrie 4.0 ist vor allem eine "Gestaltungs- und Qualifikationsherausforderung". Die Arbeit wird technisierter und komplexer - die Beschäftigten müssen mehr können. Pfeiffer sieht Deutschland dafür gut gerüstet - auch wegen der dualen Berufsausbildung. "In den für Industrie 4.0 zentralen Branchen hat Deutschland ein Spezifikum: eine solide Facharbeiterausbildung", sagt die Forscherin im Gespräch mit Detlef Wetzel. "Facharbeit ist für Innovationen essentiell: denn so entstehen enge Arbeitsbeziehungen zwischen den Entwicklung- und Produktionsabteilungen." Pfeiffer sieht hier den entscheidenden Wettbewerbsvorteil im Vergleich zu anderen Industriestaaten.
Recht auf Bildungsteilzeit
Auch andere Forscher sehen die Qualifikation als Knackpunkt auf dem Weg zur Industrie 4.0. Der Maschinenbau-Professor Reiner Anderl von der Technischen Universität Darmstadt sagt voraus, dass wir "einen ganz enormen Bedarf an neuer Qualifikation der Mitarbeiter haben werden".
Die IG Metall treibt das Thema Qualifizierung deshalb seit langem voran. Schon 2002 gab es in Baden-Württemberg einen Tarifvertrag zur Qualifizierung (TV Quali). Der Vertrag definierte, was betriebliche Weiterbildung überhaupt ist, sorgte für konkrete Qualifizierungsangebote und regelte die Kostenübernahme durch die Arbeitgeber.
In der jüngsten Tarifrunde setzte die IG Metall den Einstieg in die Bildungsteilzeit bundesweit durch. Nach einer bestimmten Zeit im Betrieb haben die Beschäftigten einen Anspruch auf eine bis zu siebenjährige Bildungsteilzeit, verblockt oder unverblockt. Sie können so ihr Wissen vertiefen oder ganz neue Qualifikationen erwerben. Danach haben sie Anspruch auf einen gleich- oder höherwertigen Vollzeitarbeitsplatz.
Mitgestalten und beteiligen
Eine Qualifizierungsoffensive ist eine notwendige Voraussetzung für die Digitalisierung der Industrie. Ein weiterer entscheidender Faktor ist die Beteiligung der Beschäftigten. "Industrie 4.0 entscheidet sich nicht auf der Ebene von Management und CEOs. Sie muss von Fachkräften mit unterschiedlicher Expertise umgesetzt werden", sagt die Industriesoziologin Pfeiffer. Für sie ist klar: "Substanzielle Innovationen werden Bottom-up entstehen - oder sie werden nicht entstehen."
Das Zukunftsprojektes Industrie 4.0 erfordert deshalb, die Rechte und Gestaltungsmöglichkeiten der Beschäftigten stärken. Dazu gehört auch der Ausbau von Beteiligungs- und Mitbestimmungsmöglichkeiten.
Details zum Buch:
Detlef Wetzel
"Arbeit 4.0 - Was Beschäftigte und Unternehmen ändern müssen"
Herder-Verlag
ISBN 978-3-451-31306-6
Letzte Änderung: 17.07.2015